Kunst

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Eine Ausstellung von Philipp Hänger / 2016 / Jonas Egli begleitet das Schaffen mit seinen Texten / Audioloop von Philipp Sommer / Kunstraum Aarau / 19.2.2016 – 20.3.2016

Im Ausstellungsraum entsteht ein Arbeitskomplex, der den Raum füllt und wieder verschwindet.
Das Entstehen ist selbst Thema. Ein Prozess, der kein Ende und kein Anfang definiert, so gibt es auch keine Verni- oder Finissage, sondern nur diese unzeitige Einladung. Jonas Egli begleitet das Schaffen mit seinen Texten. Die Entwicklung der Arbeit kann während der Öffnungszeiten im Kunstraum mitverfolgt werden. (Text Einladungskarte)

Ein Raum, eine Zeit. Philipp Hänger macht langen Prozess und alleine der Zufall bestimmt, was man zu sehen bekommt. Jeder Zeitpunkt ist genau zwischen Anfang und Ende.

Seit Mitte Januar ist der Kunstraum Aarau das Zen- trum einer andauernden entropischen Handlung, welche die Grenze zwischen Chaos und Ordnung nicht anerkennt. In ständiger Bewegung macht Philipp Hänger den Kunst- zu seinem Lebensraum und transformiert ihn unablässig.

In schichtartigen Eingriffen findet ein Wirken statt, welches zwischen Unabsehbarkeit und zielgerichte- tem Handeln schwankt, wo punktuelle Eingriffe sich in das Ganze einfügen, mit dem Bestehenden interagieren und das Gesicht des Raumes immer wieder verändern.

Alles ist gleichzeitig Ergebnis und Ausgangspunkt. Auch wenn sich einzelne Objekte und Spuren abgrenzen, vielleicht sogar vagen Werkcharakter aufweisen können, sind sie weiterhin Teil des Ganzen, aus dem sie hervorgegangen sind und in welchem sie sich jederzeit wieder auflösen können. Ein übergeordnetes Narrativ gibt es nicht. Parallel dazu entstehen Texte, welche selbst fragmentarisch und lose an die Situation anbinden und die dann in die Gesamtheit eingebunden werden.

Keith Aphrahat

Genau durch den Augapfel geht die Linie. Eine Wüste, möchte man meinen, hat nämlich genau zwei Teile. Himmel und Erde trennen die erfassbare Welt in zwei Räume, die sich in ihrer Unbestimmbarkeit und Ausdehnung nicht unähnlich sind. Ins endlose Blau zu blicken, ist dasselbe wie in den ebenso endlosen Sand zu starren. Unveränderlich dehnen sie sich in alle Richtungen aus und bilden dort, wo sie sich treffen, den Horizont auf Augenhöhe dessen, der sich auch immer an diesen gottverlassenen Ort verirrt hat. Genau durch die Mitte. Einzig die Anwesenheit der Sonne lässt eine Richtung oder den Ablauf von Zeit erahnen. Dass wir diese Illusion sogleich wieder vergessen: Keine der möglicherweise daraus zu fassenden Aussagen haben irgend eine Bedeutung. Es spielt schlicht keine Rolle, in welche Richtung man sich bewegt, aus welcher man kommt, oder wie viel Zeit seither vergangen ist. Wir nehmen an, die Wüste sei uns im Traum erschienen. Eine vollständig sinnbildliche Version des Gedankenbildes einer Sandwüste, wie sie in Träumen vorkommt, die einem nach Sigmund F. oder einer anderen, nach unserer Verfassung trachtenden Denkrichtung etwas über das Leben im Wachzustand sagen will, was aber selbst nach vielen Therapiesitzungen und ebenso teuren noch immer gleich unklar ist. Bleiben wir also beim Traum, dessen Bedeutung schleierhaft bleibt und sich in einer Wüste abspielt, von der man nicht weiss, wo sie sich befindet, wie man dahinkam und warum überhaupt. 

Es ist weder heiss noch kalt, es ist gleissend hell, aber man ist nicht geblendet, man verspürt weder Durst noch Hunger. Und doch sind all diese Eigenschaften, und gleichzeitig auch die Gefahren der Wüste, denen man in diesem Moment ausgesetzt ist, im Bewusstsein vorhanden, werden registriert, wenn auch erstmal nur als Möglichkeit. Sie sind da, ohne tatsächlich eine Wirkung zu haben. Eine Ahnung von Durst, von heissem Sand und von dem Gefühl, mit nackten Füssen im tragfesten aber doch weichen Sand zu gehen. Hätte Durst, wäre heiss, wär nicht alles ein Produkt des schlafenden Gehirns, gesteuert von einer Region namens Pons, auch Brücke genannt. Wie auch die Frage, welchen Zweck das Ganze haben soll, keine Wirkung hat aber doch da ist. Im Traum fragt man sich nie wirklich, was das soll, aber so einige Fragen tauchen dennoch auf. Erstaunen ist das Gefühl, welches einem im Traum zuerst begegnet und es ist das einzige Gefühl, welches den Traum an sich betrifft, also von aussen als Traum selbst reflektiert wird. Ein Stein rollt langsam vorbei. Die Linie, die Sand und Himmel trennt, ist von den in der Ferne bloss noch kleinen Dünen unregelmässig gewellt. Die Unregelmässigkeit dieser Linie ist so fein, dass sie wieder regelmässig erscheint. Mit dem Meer ist die Wüste in dieser Hinsicht verwandt. Grosse Wellen, die aber fern sind, ergeben trotzdem einen pfeilgeraden Horizont, der durch die Mitte geht. Ausgerechnet das Meer! Weil es auch egal ist, weil die ewige Wiederholung von kleinen, dreieckigen Hügeln und kleinen Tälern nichts bedeutet. Vielleicht geht ein schwacher Wind. Und morgen wird die Linie sich verändert haben. Das ist eine der widerwärtigsten Eigenschaften der Wüste, eine absolute Unart, dass sie sich  immer verändert, gerade genug, dass alles anders ist aber auch nicht genug, dass es offensichtlich wäre. Dass es einen Unterschied machen würde. Was im Wachzustand die grösste Gefahr überhaupt darstellt, ist im Traum bedeutungslos: Man könnte, nein, man wird sich bestimmt verlaufen! Die Wüste verändert sich unmerklich, aber am nächsten Tag ist sie völlig anders. Kaum hat man sich an den Anblick gewöhnt, kann sich darin orientieren und Dinge darin unterscheiden, hat sich alles wieder in Luft aufgelöst. Nichts ist in dieser Tätigkeit so unterschwellig wie die schleichende Bewegung  von Sanddünen und das nichtige Vorbeiziehen von vereinzelten Wolken an einem abgesehen davon durchweg einförmig blauen Himmel. Der Traum geht weiter und man, wer auch immer vom Schlaf in diesen bedeutungsfreien Raum geworfen wurde, geht im Traum weiter. Es gibt in der Traumwüste keine Oase und keine Lebewesen ausser der unglücklichen Person selbst. Obwohl, Unglück wäre der falsche Ausdruck. Es gibt bloss eine Art interesseloses Erstaunen, eine unaufgeregte Spannung, was kommen möge, was vielleicht geschehen wird. Man ahnt ja schon dass das nicht alles sein wird. Einzig die Sonne ist stummer Gefährte auf dem Weg, der nie enden wird und deswegen nirgend wo hin führt. Wahrscheinlich geht diese Person im Kreis, wie dies in jeder versinnbildlichten Vorstellung von der Wüste der Fall ist und mit ihr kreist die Sonne, die nie untergeht, denn in diesem Traum gibt es keine Nacht. Nur einen unendlich langen Tag, an dem man was auch immer tun mag und von dem der Traum, dessen ist sich der Träumende bewusst, bloss einen unendlich kleinen Ausschnitt darstellt. Wüsten und Träume sind gleich. Während man sich in ihnen befindet, verändern sie sich.  Jedes mal, wenn man auf die Wüste blickt, ist  sie anders. Und während man sich im Traum bewegt, verändern sich die Dinge durch die Bewegung selbst. Auf eine in der Ferne klein wirkende Düne zulaufend wird diese mit jeder Sekunde grösser, als wäre man in wenigen Augenblicken viele Kilometer gelaufen. Die Düne, auf die man zugeht, wächst zu einem Berg heran, im nächsten Moment steht man am Steilhang eines in den Himmel reichenden Sandgipfels und weiss der Teufel warum macht man sich daran, diesen zu erklimmen. Die einfachste, allerklassischste Traummetapher für Sand ist das Gehen auf der Stelle. Bei jedem Schritt sinkt man wieder an den Ausgangspunkt zurück, sobald man Gewicht auf den Fuss verlagert. Aber nicht vorwärts zu kommen ist ebenso unwichtig, wie es vorher egal war, kein Ziel zu haben. In diesem Moment, wo der Träumer diesen Gedanken hat, stellt er fest, dass er beim erfolglosen Versuch, den Berghang zu erklimmen, hingefallen ist. Er richtet sich auf den Knien auf und merkt sogleich, dass der Abhang gar keiner ist, sondern nur noch eine endlose Fläche aus glattem, festem Sand. Keine Spur weit und breit, vollkommen eben, alles, was zuvor noch hügelige Wüste war ist nun ein glatter, öder Sandkasten. Der Wanderer hinterlässt eine schwache Spur in der unberührten Einöde während er weitergeht, wie er immer weitergeht. Die Sonne steht noch immer kreisrund und strahlt ihre temperaturlose Wärme auf den Träumer nieder. Da es keine Dünen mehr gibt, die den Weg verschleiern und die Spuren mit ihrer Bewegung verwischen, stellt der im Schlaf diese Situation halluzinierende fest, dass er im Kreis geht. Seit Stunden, wie er annimmt, vielleicht auch länger, vielleicht auch nicht, geht er in einem Kreis, von kaum zehn, vielleicht fünf Metern Durchmesser und hat es doch immerhin geschafft, dies nicht zu merken. Sein langer, verzerrter Schatten zeigt genau in die Mitte von diesem Zeugnis seiner Orientierungslosigkeit. Doch als der im Schlaf Traumwandelnde sich bewegt, bleibt der Schatten unverändert. Er geht einen Schritt vor und einen zurück. Noch zwei zur Seite, er springt zur Vergewisserung auf der Stelle. Der Schatten bleibt. Er springt nochmal. Und bleibt in der Luft. Im Schwebezustand verharrt der Träumer über dem Boden, er rudert mit den Armen und Beinen, als würde er versuchen, zu schwimmen. Es gelingt und augenblicklich verschwindet das gleissende Licht des Wüstenhimmels. Lichtstrahlen tanzen um ihn, erscheinen blau und grün und verschwinden wieder. Jä wird er von einer Kraft erfasst, die in hochtreibt und wieder nach unten drückt. Hoch und wieder runter, zur einen Seite und zur anderen. Eine geheimnissvolle Stille umgibt ihn, bloss fernes Gluckern und gedämpftes Rauschen, kullerndes Kies rasselt und verstummt wieder. Neben dem Träumer  tauchen Fische auf, Forellen schwimmen auf der Stelle. Sie warten wohl, bis Essbares vorbeigetrieben würde. Tun nichts anderes als atmen und warten und fressen. Auch der Träumer bewegt sich der Strömung entgegen, in der er sich mit gedämpftem Erstaunen wiederfindet, um nicht abgetrieben zu werden. Na sowas. Er macht langsame Züge, die Kleider behindern ihn, doch die Vorwärtsbewegung reicht aus, um der Strömung stand zu halten. Er schaut sich um, es muss ein flacher Bach oder ein kleiner Fluss sein. Klar und ruhig, bloss einen oder zwei Meter tief, schwer, mit Sicherheit zu sagen. Das Wasser ist von feinen Bläschen durchsetzt, sie tanzen im Wasser wie Irrlichter, tauchen auf und verschwinden wieder im Grün wie Liebschaften, die kommen und gehen. Er überlegt, ob er mit den Wesen reden könne, sie scheinen lebendig, oder zumindest reagieren sie auf seine Anwesenheit. Ob er sie nach dem Weg fragen kann?, denkt der Träumer im Traum. Manche trudeln fern vorbei, sie kommen näher und entfernen sich wieder, als würden sie ihn ärgern wollen. Und kommt eine mal näher, kann er sie doch nicht fassen. Der Schwall von der Hand treibt die Luftblase Zentimeter vor der Handfläche her, sie entwischt durch die Finger und schwebt wieder davon, in einen Wald aus selbst in diesem Traum unpassenden Korallen. Es ist ihm, als würde er ein Lachen hören. Ach, mach was du willst, denkt er, träumt er, und macht einen wütenden und deswegen betont kräftigen Zug nach vorne, der ihn förmlich stromaufwärts katapultiert. Die lästigen Beschränkungen der realen Welt gelten hier, im Traum, nicht, während er immer weiter beschleunigt, nur von dem einen Armzug, sagt er sich im Traum nicht ohne Freude darüber. Eigenartigerweise erhält er im Traum gelegentlich das Bewusstsein des Träumens, kann sich jedoch nicht daraus befreien, er kann nicht das Steuer übernehmen. Es käme ihm gar nicht in den Sinn, dies zu versuchen. Das Wasser ist weder kalt noch warm. Es ist einfach da. Doch er fühlt den Widerstand dieses Wassers, während es von seinem immer schneller werdenen Körper verdrängt wird. Die leiseste Bewegung lässt ihn nach vorne schiessen und der schwimmende Träumer spürt die Macht dieser Situation nun ganz deutlich. Zu Beginn warf in die Strömung umher, nun ist er selbst die Strömung, nichts und niemand kann ihn aufhalten. Ein Wisch mit der Hand und das Flussbett wird durcheinander gewirbelt, er kann Steine auftürmen und wieder zu Fall bringen ohne sie zu berühren. Vorwärts, vorwärts, er lässt haushohe Gebilde entstehen und zerstört sie sogleich wieder. Nichts soll Bestand haben, nichts soll sich sicher fühlen, er, die er die Kraft der Schöpfung hat und gleichzeitig zerstören kann. Geil. Der Träumer schiesst auf die Oberfläche zu, er durchbricht sie mit Kraft und katapultiert sich in die Lüfte. Während das Wasser von seiner Lederjacke perlt, bemerkt er sogleich den Einfluss der Schwerkraft, die ihn abrupt bremst und langsamer werden lässt. Verglichen mit dem geschmeidigen Nass ist die kalte Luft eine ungenehme Umgebung. Wasser schmeichelt und Luft schneidet. Der Wind pfeift ihm um die Ohren und tatsächlich beginnt er zu frieren, während sein Gewicht immer mehr an ihm zerrt. Träumer denkt zurück an den Moment kurz zuvor, als er dieses Problem noch nicht hatte. Ach, Kacke. Kälte umgibt ihn, er wünscht sich nach Hause, in sein Zimmer mit dem warmen Bett, geschmeidig wie das Wasser. Warum kann ich nicht einfach in Tiefschlaf verfallen, was ohnehin die meiste Zeit der Nacht der Fall ist? Wieder ist er sich dem Träumen bewusst. Im Tiefschlaf man sich tatsächlich erholt, in einem schwarzen, komatösen Loch und nicht so ein Theater mitmachen muss, träumt er, denkt er. Doch lieber Sanddünen? Wann ist er das letzte Mal in der Wüste gewesen? Er schaut auf die Uhr, um dieser Unsicherheit ein Ende zu bereiten. Sechs Uhr dreissig. Aha. Morgens, oder etwa doch abends? Unsicher sieht er erneut auf die Uhr, um sich zu vergewissern. Zwölf Uhr fünfzehn. Es spielt wohl keine Rolle, er trug ohnehin nie eine Uhr und irgendwie ging es auch ohne ganz gut. Er spürt endlich wieder festen Boden unter den Füssen. Obwohl, fest ist übertrieben. Ein weicher Flokati bleint in Fäden an seinen nassen Füssen kleben, ein absolut grauenvolles Gefühl und es hilft nicht, dass der Teppich zu leben scheint. Aber wenigestens nicht mehr im freien Fall und warm ist es auch. Das Zimmer, in dem er sich wiederfindet, ist nur schwach beleuchtet, eine Lavalampe ist die einzige Lichtquelle, sie reicht aber für den ganzen Raum von vielleicht, was weiss ich, einem durchschnittlichen Teenagerzimmer? Eine weibliche Gestalt sitz in der Ecke hinter etwas, was im Dunkeln aussieht wie eine Ansammlung von Trommeln. Sie trägt einen langes Kleid, das aus demselben Stoff wie die Vorhänge gemacht zu sein schienen. Ein grobes Muster in Ocker und Gelb, es schimmert im schwachen Licht wenn sie sich bewegt. Der Stoff scheint schwer und doch leicht auf ihren Schultern zu liegen und wirft lange Falten bis zum Boden. Mit dem ägyptischen Lidstrich sieht sie so gar nicht aus wie ein Hippie, wie er erwartet hätte, sondern eher wie eine ferne Cousine Kleopatras. Neben ihr steht ein antik aussehendes Teeset, wie sie orientalisch angehauchte Hippies gerne auf Flohmärkten erstehen. Also doch! Sie zeigt mit einer einladenden Geste auf ein Paket neben dem Divan auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes und gibt ihm zu verstehen, dass er es öffnen soll. Der Traumwandler hebt das Paket auf, es ist erstaunlich leicht, und öffnet es. Eine Wolke von Verpackungsschnipseln fliegt ihm entgegen, in der Ferne heult ein Motorrad auf. Dies hat mit dem Paket keinen Zusammenhang, sondern ist einfach so. Als sich die Schnipselwolke wieder gelegt hat, findet er einen klebrigen Donut und ein Gitarrenplektrum darin. Die Fenster sind von braun-orangen, schweren Vorhängen verdeckt und wiederum kann der Träumende die Uhrzeit nicht bestimmen. Mit jedem Mal interessiert ihn diese Frage weniger. An den Wänden hängen Plakate von Rockstars. Die übliche Sammlung einer musikalischen Ahnengalerie der 1960er und 70er Jahre. Von diesen zwei Jahrzehnten scheint nichts anderes übrig geblieben zu sein als der Kleidergeschmack und die Musik. Backenbärtige DJs mit Ungetümen von Plattenkoffern legen im Tweed-Jackett ausgewählte Raritäten im Single-Format auf, die Schiebermütze verdeckt nur unzureichend die Sorgenfalten auf der Stirn des lächelnden, sich in der Zeit zurücksehnenden Menschen, die davon kommen, wenn man zu lange an etwas festhält. So geschieht es jedenfalls noch fünfzig Jahre später jedes Wochenende in rauchigen Bars in Klein- und Grossstädten. Diese Musik ist ein rein urbanes Gefühl. Über die Kleidung müssen wir nicht reden, für mehr als einfallslose Mottoparties eignet sie sich jedenfalls nicht. Die Musik hat immerhin noch einen künstlerischen Wert. Eine ganze Generation von Menschen fühlt sich mit ihr so tief verbunden, dass die dazugehörige Verkleidung wie eine religiöse Pflicht hingenommen wird. Danach, nach dem Garage-Rock, folgt die Generation von denen, die sich in das New York der 80er oder 90er zurück wünschen. Wer die New-York-80er bevorzugt, mag Pop Art, die frühe und deswegen noch unverdorbene Queer-Kultur und sehnt sich nach Hedonismus (freilich nicht ohne die damit verbundenen Herointoten der New-York-80er auszublenden). Die 90er hingegen gehörten Manhattan, Wallstreet, der grösste Aufschwung, den der Westen je gesehen hat, dem frühen und deswegen noch unverdorbenen Raubkapitalismus. Der Träumer, selbst eher der Noise/Drone-Ecke zugehörig und deswegen wenig beeindruckt von diesen eklektischen Oberflächlichkeiten, dachte dies, biss in das Plektrum und schrammte mit dem Donut über die Saiten einer Stromgitarre, die er kurz zuvor offensichtlich umgehängt haben musste. Die Schlagzeugerin greift sich seufzend an die Stirn, verliert kurz die Beherrschung und kann sich ein Lächeln nicht unterdrücken. Sie machen ein wenig Musik, er, der Gitarrist und sie, die Schlagzeugerin. Aufgrund des reduzierten Instrumentariums finden sie aber nicht so richtig zusammen. Wer ist diese Frau überhaupt? Kenne ich sie? Dachte er, träumte er, während sie sich dieselbe Frage über ihn stellte, was er natürlich nicht wissen konnte, auch träumen konnte er dies nicht. Ihre Rhythmen waren schnell und verspielt, seine Akkorde dagegen grobschlächtig und langsam, er liess jeden Ton endlos ausklingen und wunderte sich über den analogen Klang dieser auf Holz und Blech gespannten Schnüre. Sie verlangte nach tanzbarer Perkussion, jeder Derwisch hätte seine Freude gehabt, nur nicht der Träumer. Eine Kakaphonie, die trotz all den Misstönen hin und wieder interessante Harmonien ergab. Obwohl beide ihr Handwerk offensichtlich verstehen, ist es ebenso offensichtlich, dass auch die guten Momente durch Zufall statt durch geniale Eingebung oder gekonnte Improvisation entstanden. Sie warfen im Grunde einfach Töne an die Wand in der Hoffnung, dass es klebt. Und machnmal tat es das. Viel ist es nicht, aber die Schichten ergeben ein paar ansehliche, avantgardistische Klangmuster. An der Wand die Galerie der Musiker, die alle kaum beeindruckt gewesen wären von dem spontanen performativen Geklimper der beiden(ausser vielleicht Ron Asheton, der von dem zerrissenen Stooges-Poster als einziger übrig geblieben war). Keith Richards, auch ein Mann, der keine Zeit kennt, grinst ihn von einem Plakat aus entgegen. Hinter ihm sind Airbrush-Berge unter einem Airbrush-Sternenhimmel zu sehen, Richards scheint zu fliehen und lacht dabei als wäre es das Lustigste, was er jemals getan hat. Während der Engländer rennt, es scheint dem Träumer so, versinken die Berge hinter ihm wie Eisberge, die in der arktischen Frühlingsschmelze auseinanderbrechen. Die Sterne am Plakathimmel werden von unbekannten wie plötzlichen Kräften verzerrt, sie werden gedehnt, bis sie nur mehr langgezogene Striche sind, das tiefschwarze, sich dazwischen ausbreitende Nichts entwickelt einen Sog. Zuerst nur sichtbar, aber nun ganz deutlich spürbar. Wie der Abfluss eines Waschbeckens. Der Träumer gerät ins Wanken, die Schlagzeugerin wird im Zimmer herumgewirbelt. Sie treiben durch die Luft auf das Loch im Plakat zu, welches inzwischen dort entstand und fürchten gleichzeitig, eingesogen zu werden. Bei Keith Richards’ sieben Kindern! Beim Barte des Aphrahat! Genau gleichzeitig erwachen 1248 in Syrien eine Kurtisane des Sultans Chalil und ein interstellarer Transportunternehmer in einer Siedlung am Saturngürtel im Jahr 2481. Sie fahren sich unwissentlich gleichzeitig über die Stirn, wischen sich beide eine schweissnasse Locke aus dem Gesicht und seufzen auf. Keiner von beiden kann in dem nächtlichen Geisteswirren einen Sinn erkennen und sie nehmen sich beide vor, den Traum schnellstmöglich wieder zu vergessen.

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