Kunst

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Foto

Neo / Die Badenfahrt 2023 / Bild Essay für das Buch über die Badenfahrt 2023 / Was passiert in der Nacht?

«Die Badenfahrt ist ein optisches Chaos»

Für Philipp Hänger war das Fotografieren an der NEO 2023 ein Heimspiel. Arbeitete er doch die beiden Jahre davor für das Historische Museum Baden als Stadtfotograf. Ein Mandat, das die Stadtentwicklung dokumentiert und den Fotografen überall dorthin führt, wo sich die städtische Infrastruktur im Auf- und Abbruch befindet, oder Typisches und Neuartiges passiert. Ziel ist es, ein Zeitbild zu schaffen in der visuellen Sprache der jeweiligen Fotografinnen und Fotografen, damit sich spätere Generationen eine Vorstellung vom damaligen Baden machen können.
Der ausgebildete Industriedesigner und bildende Künstler spezialisierte sich nach seinem Kunststudium auf die Dokumentation von Kunstausstellungen. In Ergänzung zu seiner künstlerischen Praxis arbeitet er regelmässig als Fotograf für renommierte Institutionen. Daher ging er denn auch an den Fotoessay für dieses Buch mit der Einstellung: «Ich glaubte zu wissen, was auf mich zukommt.» Kaum hatte er einen Fuss auf das Festareal gesetzt, musste er sich jedoch eines Besseren belehren lassen. «Meine Erwartungen wurden mehrfach übertroffen», fasst er zusammen. «Mehr Dichte, mehr Puls, mehr Fläche – mehr Kreativität. Einfach von allem mehr.»
Philippe Hängers Thema war die Nacht. Als Konzept sah er vor, einen Handlungsbogen zu spannen vom Abend bis in den Morgen. «Wahrnehmungstechnisch war ich als Fotograf zuerst einmal überfordert», räumt er ein. Schnell aber eignete er sich Techniken an, um dieses optische Chaos zu erfassen. «Eine Strategie war, dass ich meinen Fokus statt auf den Höhepunkt der Party auf dessen Abklingen und Zerbröckeln richtete.» Mit diesem Ansatz wurde seine Linse auf jene Dinge gelenkt, die sich am Rande dieser grossen Fülle an Sinnesreizen zeigten. Hier entdeckte er viele kleine, auf den ersten Blick unauffällige Dinge, die er in ihrer Einbettung spannend fand: der tanzende Mensch auf der leeren Bühne und der bereitstehende Abfalleimer. Die Vereinsmitglieder, die in ihren Beizen mit dem Fuss noch am Fest waren und in der Hand bereits den Besen hielten. Diese Stimmung zwischen Partylaune und Hangover erlebte er als gastfreundliches Vakuum, das den Fotografen gut gelaunt empfing. «Ich begann mich für die Kippmomente zu interessieren, in denen sich eine Parallelwelt zur offiziellen Badenfahrt auftat. Menschen, die an diesem Fest einen wilden Ritt durchlebt hatten und irgendwo gestrandet waren und dort auf eine Realität trafen, die sich am Ende der Nacht einstellte.
Dabei sind keine «fotogenen Szenen» im klassischen Sinn sichtbar. Denn die Nacht hat beide Seiten. Auf der einen Seite das Pulsierende, die Ausgelassenheit, das Ausufernde, dann aber auch das Abbröckelnde, Auslaufende, wo sich die Ästhetik verändert. «Die Menschen sehen nicht mehr so frisch aus. Und an deren Stelle macht sich der herumliegende Müll und fast eine Art Elend breit.» Ein Thema, das sich in den Bildern von Philippe Hänger zeigt, ist der einsame Mensch am Fest, der leicht verzettelt doch irgendwie zu einem Ganzen gehört. An verschiedenen Orten begegnete er mit der Kamera einem Mikrokosmos mit Menschen, die zwar in ihrer je eigenen Welten waren, aber als Gruppe im Bild eine Einheit bildeten.
Dabei ging es ihm nicht darum, «einfach irgendein Pressebild» zu schiessen, das schrill oder spektakulär die Social-Media-Ästhetik bediente. Er wollte einen speziellen Moment einfangen, indem er nicht der Masse folgte, sondern sich eine Bühne suchte und wartete, bis die Protagonistin oder der Protagonist auftauchte. Dabei verzichtet er bewusst auf Abstraktionsformen wie etwa die Verwendung des Blitzlichtes oder eine Schwarzweiss-Umsetzung. Dies mit dem Ziel, die Nähe zum Geschehen möglichst vertraut und authentisch zu belassen. Was aber auch bedeutet, dass die Bilder in der Sprache des Profis «rauschen und Dreck haben».

Text: Esther Hürlimann

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